Geige der Nacht
Das kleine Dorf Kleinfälder war ganz stolz auf seine nicht gerade unbekannte A Capella Band. Doch heute war Benjamin nicht so recht bei der Sache. Dreimal hatte er schon den Einsatz zum selben Lied verpasst und so verärgerte er langsam auch die Fans. Letztendlich sagte seine Kollegen das Konzert ab. Benjamin war bitter enttäuscht von seiner Leistung und kauerte auf einem Stuhl. „Mensch Benjamin, wir haben dir tausendmal unsere Hilfe angeboten. Wir verstehen doch, dass der überraschende Tod deines Bruders dich aus der Bahn wirft. Warst du jetzt endlich am Grab?“ „Nein. Ich hatte keine Zeit.“ „Dann begleiten wir dich.“ „Nein nicht nötig ich mach das alleine.“ „Das sagst du schon seit zwei Wochen. Komm. Du musst endlich Abschied von ihm nehmen.“ Der Friedhof war nicht weit aber sie brauchten Stunden um ihn zu erreichen. Als sie endlich am Grab waren und Benjamin in die Knie sank war es bereits nach Mitternacht. Seine Bandkollegen entfernten sich, damit er ihn ruhe Abschied nehmen konnte, ohne Rücksicht auf sie nehmen zu wollen. Ein paar Minuten später erklang plötzlich eine Geige in der Dunkelheit. Hypnotisiert von der Melodie richtete er sich wieder auf und folgte dem Klang. An einem anderen Grab blieb er stehen. Eine Frau mit schulterlangen Haaren spielte dort auf ihrer Geige. Sie hört auf und kniet sich weinen vor das Grab. „Warum tust du das? Warum stirbst du ausgerechnet jetzt? Jetzt wo wir uns nach all den Jahren vergeben wollten? Dieser ganze Streit um dieses Arschloch war das alles doch gar nicht wert. Wir sind doch Schwestern. Zwillingsschwester! Verdammt noch mal was nützt mir dein gottverdammtes Haus, wenn ich dich nie wieder sehe. Klar ist es das Haus, das wir immer habe wollten aber was ist das schon, wenn es nur noch meins ist?“ Die Frau blickt an Benjamin auf. Wütend springt auf und brüllt ihn an. „Was soll das?! Glotzen sie mich nicht so an!“ „Spielen sie bitte noch einmal. Es war gut.“ „Gut?! Scheiße war das! Grottenschlecht!“ In ihrer Wut knallt sie die Geige auf den Boden und zertrümmert sie somit. Geschockt blickt sie auf die Einzelteile und läuft weg. Benjamin war noch immer völlig gelähmt und bückte sich erst nach einigen Minuten zu den Teilen der Geige. Behutsam sammelt er sie auf. Noch während er das tut nähert sich der Sänger, der ihn mehr oder weniger gezwungen hatte hier herzugehen. „Was machst du denn da? Lass doch denn Müll liegen.“ „Ist kein Müll! Muss gehen.“ In der nächsten Woche kam er am selben Tag zur selben Uhrzeit wieder. Er hoffte sehr, sie wiederzusehen. Leider hatte er sich aber das Grab nicht gemerkt und wusste nicht, wo er suchen sollte. Aufgeregt lief er über den Friedhof. Als er enttäuscht abziehen wollte, erklang die gleiche Geigenmelodie und zog ihn wieder in ihren Bann. Wie auch beim letzten Mal stand er bei ihr am Grab. Sie schaute ihn ganz verdutzt an ehe Benjamin es endlich gelang einen Ton raus zu bekommen. „Ich ähm du … äh ich sie … äh Verzeihung. Ich habe ihnen das letzte Mal wirklich gerne zugehört. Eigentlich würde ich gern noch einmal hören. Na ja und ich dachte, da ihre Gitarre … ich meine Geige kaputt gegangen ist, schenke ich ihnen diese aber sie haben ja offenbar wieder eine Geige.“ „Ich habe keine Geige oder sehen sie eine?“ „Eigentlich nicht aber haben sie nicht eben gespielt.“ „Ach das, das war meine Stimme. Ich bin Imitator.“ „Das klang ja haargenau wie eine Echte.“ „Wenn das nicht so wäre würde ich meine Auszeichnungen nicht verstehen.“ Benjamin und diese Frau setzen sich auf eine Bank und unterhalten sich bis in die Morgenstunden. Wenige Monate später waren sie ein Paar. Drei Jahre später sogar ein Ehepaar mit zwei Kindern.